Bluetenregen - Kapitel 1

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[Bearbeiten] Blütenregen - Kapitel 1

'Nein! So wie gestern darf es nie mehr werden.' Augen auf. Aber langsam, vorsichtig. 'So wie gestern darf es nie mehr werden. Ab heute mach ich das anders.' Gedanken mit der Intensität eines Bulldozers. Die Gewissheit es muss anders werden. Ich muss anders werden. Ab jetzt hilft nur die Flucht nach vorne. Es gibt kein entrinnen. Veränderung oder Tot. Oder zumindest der tot dessen was mir immer so wichtig war.


Der Rollladen ist halb herunter gelassen und lässt ein schleimiges Grau zumindest ein Stücken weit ins Zimmer. Berge von Büchern, Zines, DVDs und Pfandflaschen. Spärliche Möbel, denn alles andere macht mich krank. Dieser Überfluss, diese Überheblichkeit und Ignoranz, Arroganz und einfach nur alles voller Falschheit. Ihr Heuchler und euer verschissenes Geld. Ich wills nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ihr macht mich Krank. Ihr und euer Geld. Ich habe kein Geld dafür aber auch keine Zeitplan. Höchstens mal der Fahrplan der S-Bahn. Aber nicht heute, die Farbsprühdosen sind eh alle leer, Konzerte stehen auch nicht an. Und sowieso ist es viel mehr eine Depression als ein Wolke, was seit Tagen über der Stadt liegt. 15°C kamen mir noch nie so kalt vor. Es ist eigentlich schon bitter kalt. Mich friert auch wenn ich die Heizung aufdrehe. Mich friert, auch wenn ich in der Badewanne liege und mein Haut schon schriet, es sei viel zu heiß. Das fahle Licht, die unbarmherzige Kälte und diese Ahnung das die Entscheidungen heute viel wichtiger sind als ohnehin schon. All das macht mich fertig. Die lasst der Welt sollte eigentlich auf allen gleich lasten. Doch an Tagen wie heute wird mir wieder klar das sie nur auf den lastet die sich Sorgen. Mitleid verpflichtet. Mitleid nagt und reißt. Beißt sich immer tiefer in deine Seele. Es gibt so viele Dimensionen und eine davon ist die des Leides. Kaum einer kann sie fühlen und es gibt wohl niemand das sie richtig versteht. Aber ich kenne sie. Ich bin nicht krank und auch nicht verletzt. Ich werde weder gefoltert noch geschlachtet. Aber von all dem Leid das irgend ein Tier (dazu gehört auch Menschen) spart sie irgend eine sadistische Kraft ein wenig für mich auf und präsentiert es mir in Supermarktregalen, Titelzeitungen, IdiotenTV, Faschoaufklebern, Mordmodemöchtegernmodels. Ja da hat sich jemand wirklich viel mühe gemacht alles so zu verpacken und zu verstecken und alles durch den Fleischwolf der Greenwashingschlächter zu drehen. Das alles beißt sich durch mein Gehirn. Nicht zum ersten mal hab ich versucht einfach alles auf zu kratzen und dieses Arschloch da raus zu holen um in den Hals um zu drehen. Doch irgendwann verstärkt der Schmerz nur noch das Leid und wandelt es durch diesen perversen Egoismus in den Inbegriff der Erbärmlichkeit. Blut hat noch nie eine Wunde geheilt. Doch was soll ich den dann tun? Meine Kopf gegen die Wand schlagen bis ich nicht mehr klar bin? Verdammt das ich doch keine Option. Aber was machen mit der Wut? Aber was machen mit der Verzweiflung? Ja was soll ich den machen mit all dem Hass? Mit all der Ohnmacht? Was? Was den nur?


Was die letzten Stunden passiert ist, weiß ich nicht mehr. Mein Kopf für gerade Armageddon auf, und ich bin völlig außer Atem. Ich dreh mich ein mal im Kreis. Lärm, Wiese, Wald, Straße, Zaun, Fabrik, Zaun, Lärm, Straße, Fabrik, Straße, Lärm und wieder Wiese. Okay also Industriegebiet am Stadtrand. Irgendwie kommt mir das alles bekannt vor. Ich es ist nicht konkretes. Ich kenne diese Gegend hier nicht wirklich. Aber eine S-bahn Haltestelle dürfte zu finden sein. Ich hab Hunger und 'ne Flasche Wasser wäre auch kein Fehler. Ich will hier nicht länger bleiben. Ich will hier weg. Zurück in meine Bude. Ich will ruhe. Der Himmel hat sich nicht verändert. Tiefe schwere Wolken in einem grau das alle Farben in sich aufsaugt. Wahrscheinlich nicht nur die Farben. Ein quietschen, Ich dreh den Kopf, Die Hupe und das Licht überrollen mich. Das Auto hat es sich anders überlegt und lässt mich am leben. Dafür kotzt es einen Hässlichen Schnauzbart aus dem Fahrerfenster der eine unerträglichen Lärm veranstaltet. Die Kopfschmerzen werden schlimmer und ich geh wieder weiter. Es dauert nicht lange und als ich registriere das es langsam dunkel wird taucht an der Ecke eine Haltestelle auf. Passt irgendwie. Hm, fehlt nur noch ein einzelner Sonnenstrahl der durch die Wolken bricht. Ich bleibe stehen. Suche den Himmel ab, finde aber nichts. Naja, wieso auch? Wär auch zu viel des guten. Ich bin ziemlich erschöpft. Was soll's, sind ja nur noch n paar Meter. Die Bahn lässt nicht lange auf sich warten. Ich setz' mich auf eine der vielen freien Plätze am Ende. Gedanken schwirren mir durch den Kopf ohne das ich wirklich einen davon aufgreife. Ich lass mich erschöpft treiben. Lehne den Kopf gegen die kalte Scheibe. Schau aus dem Fenster. Dunkelheit, Neonlicht, Dunkelheit und wieder Neonlicht. Das Dunkel wird zum Halbdunkel. Ich nähere mich der Innenstadt. Immer wieder steigen Leute ein. Nur wenige steigen aus. Noch bin ich fast allein und ignoriere sie. Durch die Straßen winden sich immer mehr Menschen. Was die hier alle wollen? Jetzt wird die Bahn von Station zu Station merklich voller. Auch in meiner Reichweite gibt es kaum noch freie Plätze. Das wird mir zu viel. Ein Ekelgefühl überkommt mich. Ich steige aus. Sind ja nur noch drei Haltestellen. Über die Straße und eine Block gerade aus. Weg von der Hauptstraße. Hier ist es schon viel ruhiger. Ich geh langsam. Schau mich ab und zu um. Vielleicht ein neues Tag, vielleicht ein bekanntes Gesicht. Aber ich finde nichts. Ein bisschen Wehmut, ein bisschen Einsamkeit. Nicht viel, gerade genug damit die Gedanken sich vom vermeintlich wesentlichen lösen. Damit die Gedanken abdriften auf das Unscheinbare, das Verdrängte, das Vergessene achten. Ein bisschen mehr Kälte, einen hauch Melancholie. Verlorene Lieben, es gibt so viele. Zumindest im nach hinein. Zumindest jetzt. So vieles hätte anders sein können. Der Lärm wird wieder lauter. Bestimmt wäre machen besser gelaufen. Bestimmt wäre es das. Warum muss ich nur immer suchen. Immer suchen und hoffen und am Ende doch nichts finden. Was bleibt ist der Verlust von allem was zurück gelassen wurde. Der Verlust und die Trauer. Neben mir begräbt eine Tankstelle alles unter grellem Neonlicht. Ich kneife die Augen zusammen und drehe langsam den Kopf. Diese beschissenen Tankstellen. Vor mir ein Zeitungsständer. Eine U-Bahnstation, darunter steht. Terroranschlag in Moskau. Weiter lese ich nicht. Ich kann es mir denken. Russische Rassisten wundern sich über Verzweiflungstaten und kündigen Rache an. Die ganze Welt ist für einen Moment entsetzt. Das warum will keiner hören und wäre sie nicht schon tot, würde die 'Terroristin' zu Tode kritisiert werden. Doch ich habe Mitleid mit der Frau. Sie hat Gewiss mehr Terror erlebt als das jemals in einer Zeitung gestanden hätte. Terror zerstört und viele verzweifeln. Was sollen sie denn dann tun wenn sie nur Terror kennen. Es ist mir mit einem mal alles klar. Ich dreh mich nach rechts. Betrete die Tankstelle. Hole mir zwei Kanister aus dem Regal. Ruf der Frau am Schalter zu, dass ich den noch voll machen müsste. Gehe zur Zapfsäule. Super Bleifrei, kanpp fünf Liter. 7,59€ steht auf dem Display. Dann zur Zapfsäule nebenan. Etwa fünf Liter Diesel für 6,03€ Ich greife in die Hosentasche und gehe langsam zurück zur Kasse. Es steht noch ein Mann vor mir. Ich beachte ihn nicht weiter. Bin völlig mit meinen Gedanken beschäftigt. Der Mann tritt zur Seite. Eine Frau schaut mich fragen an und sagt ja bitte. Die Fünf, die Sechs und die zwei Kanister erwidere ich. Die Antwort, 21,60€, bitte und eine belustigter Blick. Ich nehme die Hand aus meiner Tasche und lege sie auf die Theke. Zwei 5-Euro-Scheine und jede Menge klein Geld. Es dauert eine weile bis ich es abgezählt habe. Die Frau hinter der Theke kaut ungeduldig auf ihrem Kaugummi herum. Das Geld reicht knapp. Den Rest stecke ich wieder ein. Ohne ein weiteres Wort mach ich mich wieder auf den Heimweg. Meine Laune ist ein wenig besser auch wenn mir jede Menge fragen durch den Kopf wirbeln. Pläne türmen sich auf und Fragen reißen sie wieder ein. Äußerlich bin ich ruhig also ich meine Wohnungstüre aufschließe und die Kanister neben die Pfandflaschen stelle. Innerlich steh ich unter Strom gehetzt von Fragen und Eventualitäten. Ich habe noch Zeit wenn auch nicht mehr lang. Es muss eine Entscheidung fallen, die eigentlich schon vor vielen Monaten gefallen ist. Heute Nacht wird sich einiges entscheiden und das wird nicht nur mich betreffen.


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