Ich und Jim Morrison, mitten in Kreuzberg

Aus Open-Punk

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Jim Morrison stand an einer Straßenlaterne, mitten am Tempelhofer Ufer in Kreuzberg. Es war junger Nachmittag, so gegen zwei. Der Regen machte eine Zigarettenpause und Jim kotzte sich die Seele aus dem Leib. Mit der Rechten klammerte er sich an eine Literflasche billigen Rotwein, die Linke hatte er gegen die Stirn gepreßt. Kotze kleckerte auf seine nackten Füße, das schien ihm aber egal zu sein. Ich wartete auf den Bus Richtung Warschauer Straße und sah mir das Spektakel an. Als er fertig war, nahm er einen kräftigen Schluck gegen den üblen Geschmack im Hals, dann goss er sich etwas Wein über die vollgekotzten Füße. Er hatte einen rauschenden Vollbart und seine dreckige Schlangenlederhose an, dazu ein sandfarbenes, viel zu weites Hemd, an dem schon einige Knöpfe fehlten. Alles in allem sah er wie ein heruntergekommener Jesus mit Bierbauch aus und ich fragte mich, wer ihm das ganze Karma geklaut hatte. Den Bus ließ ich ohne mich auf die Reise gehen, ich meine, schließlich war das Jim Morrison und er war betrunken, in Krankenpflegerdeutsch eine hilflose Person. Ich ging auf ihn zu und blieb einige Schritte vor ihm stehen. Er schleppe jede Menge widerliche, menschliche Gerüche mit sich rum, er brauchte eine Badewanne, eine Waschmaschine und einen Freund, juhu, da bin ich. „Hey, Alter, alles OK bei Dir?,“ eröffnete ich das Gespräch. Erschöpft sah er mich von unten an, da er noch leicht zusammengekrümmt vor der Laterne kauerte und seine Kotze angestarrt hatte. „Geht so, ging mir schon besser“, lallte er mit schwerer Zunge, dann streckte er mir seine Hand hin. „Ich bin Jim, Schluck Wein?“ Er packte meine Hand und schüttelte sie, seine Linke schoß vor und drückte mir den Rotwein in die Hand. Aus reinem Reflex nahm ich die Flasche, setzte sie an und trank. „Ich bin Paul, schön, dich mal kennenzulernen, ich hab in Paris dein Grab besucht.“ Betretenes Schweigen machte sich breit, immer rein in die Fettnäpfchen, dachte ich. „Ja, mein Tod, ich weiß, aber egal…“, murmelte er und wurde etwas lebhafter. „Und, was machst du hier, 2004 in Berlin?“ Er lächelte. „Das ist eine lange Geschichte, laß uns was zu saufen holen, dann erzähle ich dir vielleicht was davon, Paul, du kennst dich doch aus, zeig mir deine Stadt.“ Er klopfte mir auf die Schulter und dann trabten wir los. Es war Samstag und bei einem Zeitungsladen kaufte ich eine Flasche Rotwein mit Schraubverschluß und sechs Flaschen Berliner Pilsener. Sternburger Export wäre zwar günstiger, aber das war immerhin Jim Morrison und ich wollte ihm das beste Bier anbieten, zu welchem Berlin in der Lage ist. Neben der Amerika Gedenkbibliothek setzten wir uns in den Park, an seinen Geruch hatte sich meine Nase gewöhnt und bei einem zwielichtigen Typen hatte Jim sich noch ein paar Drogen gekauft. Erst hatte der Kerl rumgezickt, als Jim ihm zwei fünfzig Dollarscheine gegeben hat, aber seine Kumpels meinten, dass die Scheine echt aussehen und Jim blieb die ganze Transaktion über gelassen wie ein Stein. Ich lehnte dankend ab, als er mir den Joint hinhielt. „Mein Arzt meint, das sei psychosefördernd“, erklärte ich und öffnete mir ein Bier. Wissend sah er mich an, „ich hätte dir ein paar Pilze kaufen sollen“, murmelte er und inhalierte tief. Lange sprachen wir über Gedichte und über Lieder, natürlich trug ich ihm einiges von mir vor. „Du bist auch ein Dichter“, meinte er. “Ich? Nein.“ Lange sah er mich schweigend an. Ich bin doch kein Dichter, ich schreibe Gedichte, aber das wäre in meinen Ohren etwas dick aufgetragen, eine kuriose Form der Amtsanmaßung. „Nun, was machst du hier? Ich sehe zwar, dass du hier bist und dass du du bist, aber ich verstehe das nicht ganz.“ Melancholisch lächelte er, er sah mir lange in die Augen, es schien, als ob er überlegte, ob ich diese Geschichte begreifen könnte. „Gut, ich werde es dir erzählen, also, hör mir gut zu. Ich bin tot, so wie viele andere ganz gute Musiker und Künstler. Wir finden uns aber nicht einfach damit ab, uns gegenseitig ein paar Songs vorzuspielen und so haben wir in einer gemütlichen Nacht beim Kartenspielen mit dem Tod etwas überlegt. Wir haben mit ihm Karten gespielt und ihn gnadenlos ausgetrickst. Er steckte also ziemlich in der Scheiße und um da wieder raus zu kommen, muß er uns jedes Jahr ein Mal für drei Tage auf die Erde schicken und in kleinen Clubs spielen lassen. Jedes Jahr dürfen acht von uns runter und dann machen wir gemeinsam Musik. Jeder hat vier Songs, es wird also ein buntes Programm von unseren Songs geben. „The dead Allstars“, und nun sind wir in Berlin, letztes Jahr haben wir in Oslo gespielt, das war schon geil.“ Gebannt hörte ich zu. „Und wer ist diesmal mit dabei?“ „Also, wir vier von dem Pokerabend sind immer dabei, ich, John Lennon, Elvis und Kurt Cobain, dieses Mal sind ein paar frische mit dabei, Johnny Cash, Joey Ramone, Joe Strummer, und Jimmy Hendrix ist auch mal wieder mit dabei. Wir sehen dann immer zu, dass wir Songs spielen, welche in dieser Gruppe funktionieren, beim Soundcheck vorhin habe ich mich mit Johnny gestritten, mir ist der Kragen geplatzt und ich hab mich verdrückt, na ja, nun bin ich hier, aber, keine Panik, heute Abend bin ich wieder fit. Es ging um die Reihenfolge der Songs, keiner will den Abend eröffnen, jeder will den letzten Song singen, ich finde, ich habe das Recht dazu, den Abend mit „The End“ zu beenden, Johnny hat aber darauf bestanden, die Bühne mit „We`ll meet again“ zu verlassen. Und dann kommt noch Joey Ramone und will das Konzert mit „What a wunderful world“ beenden, ich hab damals das Ganze eingefädelt und es ist Tradition, dass ich das Konzert beende, fertig. Jeder hat vier Songs, zwei legen wir vorher fest, den Rest improvisieren wir, je nach Laune. Joe eröffnet das Konzert mit „London Calling“, das geht gut ab und bringt die Leute in Stimmung, dann kommt Kurt mit „Smells like teen Spirit“, und ich bin dann mit „Light my fire“ dran, um die Leute dann wieder etwas runter zu holen, singt dann Elvis „In the Ghetto“. So fängt heute die Tracklist an, wenn du Lust hast,

setze ich dich auf die Gästeliste, wird bestimmt ziemlich voll. Erst kommen nur ein paar Kneipenleute und wenn die dann sehen, wer da alles auf der Bühne steht, dann geht es los, die rufen ihre ganzen Freunde an und nach zehn Minuten kommt kein Mensch mehr rein. Die Hütte ist dann immer zum Platzen gefüllt. Damit die Leute sehen, was los ist, machen wir noch einen kleinen Soundcheck, der nicht nötig ist. Bevor das eigentliche Konzert losgeht, spielen wir zehn Minuten, ein Medley, in dem jeder von uns einen seiner Hits ansingt, dann gehen wir noch mal kurz von der Bühne und dann bricht die Hölle los….“ Ich hörte mir seine Geschichte an und war erschüttert. Hätte ich vorhin nicht zufällig auf den Bus gewartet, hätte ich heute Abend den besten Mix an Musikern verpaßt, und nun drückte Jim mir einen Backstagepass in die Hand, eine schwarze Plastikscheibe, auf der in weißer Schrift stand „The dead Allstars“, darunter stand Berlin Columbia Fritz, 2004. Zwei Straßenmusiker kamen mit ihren Gitarren vorbei, ich bot ihnen ein Bier an und sie setzten sich zu uns. Ich fragte sie, ob sie was von den Doors spielen könnten, sie begannen ihre Gitarren zu bezupfen und Jim fing an zu singen, „this ist the end, beautyful friend, this ist the end, my only friend, the end.

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