Bochum - Kultur, Kritik, 2010

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[Bearbeiten] Eine viertel Millionen für drei Tage im Mai?

Dass “Kulturhauptstadt Ruhrgebiet” dazu führen würde, dass sich die üblichen Verdächtigen auch in Bochum um die Tröge kommunaler Finanzzuwendungen versammeln würden hatte ich ja schon erwartet, nicht aber dass es so schlimm kommen würde:Vermutlich 250 000 EUR aus dem Kulturetat sollen in eine Unterhaltungs-Revue investiert werden, die lediglich an drei Tagen im Mai 2010 in der Jahrhunderthalle aufgeführt werden soll. Urbanatix (www.urbanatix.de) heißt das Ganze und wird von Christian Eggerts Agentur Dacapo ausgerichtet, die, wie die Selbstdarstellung auf ihrer Webseite (www.dacapo-bochum.de) zeigt, eher auf die Firmen-Events und Unterhaltungs-Shows ausgerichtet ist. Finanziell wird von Gesamtkosten von 514.794,- EUR ausgegangen, im Jahr 2009 fallen davon 141.610,- EUR an. Da für 2009 ein Zuschuss von 70.000 EUR beschlossen wurde liegt es nahe, dass der Gesamtzuschuss der Stadt Bochum bei 250.000 EUR liegen wird. Verfolgt man die lokale Berichterstattung über dieses “Projekt” so ist der erste Eindruck, dass Jugendkultur gefördert werden soll, bei genauerem hinsehen stellt man fest, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Statt Jugendkulturen zu fördern ohne sie selbst substantiell zu verändern delektiert sich Eggert bzw. Dacapo nur an Äußerlichkeiten: artistische Leistungen.Hierzu ein Beispiel: Ob Parkour und Freerunning mehr sind als eine Modeerscheinung muss sich noch erweisen, sicher ist aber, dass diesen Dingen eine Philosophie innewohnt, die die Beteiligung an Events wie Urbanatix ausschließt.

So wird auf der Webseite www.parkour.de festgestellt: “Akrobatische Einlagen (…) gehören nicht zu Parkour” um dann fortzufahren “Parkour ist kein Wettkampf und zielt auch nicht auf Showeffekte ab. Ein Traceur macht Parkour um der Bewegung selbst willen.” Auf www.freerunning.de :”Wir verwenden bewusst den Begriff “Bewegungskunst” (…) Die Intention aktueller Bewegungskünste liegt (…) nicht darin, sich mit anderen zu messen, oder sein Können in einer Show zu präsentieren, sondern gemeinsam geistig und körperlich zu reifen, ganz nach dem Motto ‘Trainieren, um besser zu werden und nicht um besser zu sein’“. Aber deutlicher wird es von der Agentur Dacapo auch selbst in einer Beschlussvorlage der Kulturverwaltung (Vorlage Nr.: 20090850) für den Bochum Kulturausschuss gesagt: “Urbanatix benutzt den Willen, die Energie, den Ideenreichtum und die Ressourcen, die im Bereich der Straßenkultur bei den Jugendlichen sichtbar werden”.Die Ressourcen der Jugendlichen werden also benutzt für das was die Agentur wohl am besten kann: unverbindliche Unterhaltung. Jugendkultur, die sich jenseits des durch Eggert & Co. vertretenen Kulturbegriffs entfalten scheinen fast schon als etwas pathologisches angesehen zu werden, denn es sind Menschen “deren soziokulturelle Entwicklung sich schwierig gestaltet, die im gesellschaftlichen Abseits stehen oder sich in den verschiedenen Bereichen der Jugendszene als eine Art Parallelkultur abgeschottet haben.” Zumindest ist man wohl bei Dacapo der Meinung dass die Kultur der Jugend a priori Niveaulos ist und erst Urbanatix “hebt diese auf einen Level, der im Ruhrgebiet einmalig ist.” - Einmalig ist ja in Ordnung aber heben? Letztendlich werden 30-40 Jugendliche gecastet, die von eigenen Inhalten entledigt, vermutlich als Statisten oder in Nebenrollen “zusammen mit 10 Weltklassekünstlern in einer der großen Industriekathedralen der Region auftreten und eine neue Geschichte über das Ruhrgebiet erzählen.” Da das Ganze aber substantiell genau so viel mit dem Ruhrgebiet zu tun haben wird wie die Pizzeria an der nächsten Ecke, könnten sie auch andere Geschichten erzählen: eine andere Region repräsentieren, ein neues Automodell präsentieren oder Reklame für Wurst machen. Der Satz “Urbanatix ist ein langfristig und nachhaltig angelegtes Kulturprojekt” ist zwar in der Verwaltungsvorlage dick unterstrichen, wird dadurch aber auch nicht glaubwürdiger. Zwar liegen zwischen erstem Casting und den Aufführungen mehr als ein Jahr, laut Zeitplan scheinen aber die Workshops und Trainingcamps das Ausmaß normaler Probearbeiten nicht zu übersteigen. Und nach der letzten Aufführung ist sicher alles verpufft, es sei denn Eggert findet unter den gecasteten Jugendlichen noch jemanden, der dann später auf Firmenevents eine paar Kunststückchen zeigen kann. Urbanatix “dient auch als Impulsgeber für ein viel längerfristiges Ziel: die Etablierung einer (…) Artistenschule.” Diese Aussage stellt den verzweifelten Versuch dar, der geplanten Show eine langfristige Bedeutung zu geben, ist aber genau so verblödet, als würde man ein überteuertes Feuerwerk damit rechtfertigen, dass die bloße Betrachtung dazu führen würde, dass sich Investoren finden, die in Bochum eine Knallkörperfabrik aufbauen.

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