Meine Herren Interview

Aus Open-Punk

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Meine Herren ist eine jener »neuen deutschen Punk-Bands«, die mit neuen frischen Texten und neuem Elan zeigen, daß auch im Jahr 1994 Punk-Rock noch nicht tot ist. Bei einem Konzert, das im Frühjahr dieses Jahres im Autonomen Zentrum Heidelberg stattfand, hatte ZAP-Reporter Klaus Enpunkt Frick allerdings Gelegenheit, passives Publikum par excellence kennenzulernen: Kaum ein Mensch war anwesend, und die wenigen, die im Konzertraum blieben, drückten sich eher im Hintergrund des Saals herum. Die sonst bei Deutsch-Punk-Konzerten aufkreuzenden Punks hatten den Gig offensichtlich nicht mitbekommen, und den anderen Leuten schien die Band zu unbekannt zu sein. Eigentlich frustrierend. Trotzdem: Das Interview mit Stucken (Gesang), Burry (Schlagzeug), Markus (Bass) und Holger (Gitarre) war recht amüsant, die Zwischenfragen von Co-Interviewer Carsten (»hey, in Skinheads-Fanzines kommt jetzt aber die Frage, welche Hobbies habt ihr sonst noch außer Saufen?«) kamen gut, auch die kleine Party anschließend in der Gneisenau, bei der zeitweise peinlichste deutsche Schlager im Hintergrund rumdudelten (aber wir sind ja hart genug, so was auszuhalten).

ZAP: Fabsi vom Weser Label schrieb in seinem Info, daß ihr die erste Band gewesen seid, die nach fünf Jahren oder so wieder einen Vertrag bei denen gekriegt hat – und das nur wegen eurem Demo. Stimmt das?

Stucken: Die Bands, die sonst bei Fabsi auf dem Label sind, sind ja alles Bands, die schon vorher bekannt waren, die er von früher her kennt, die irgendwie auch schon jahrelang vorher Musik gemacht haben. Von daher kannst du ausgehen, daß die Geschichte so stimmt. Fabsi war mit der erste, an den wir unser Demo-Tape geschickt haben. Wir haben ein Demo-Tape gemacht, hundert Stück, also normale Auflage, wir wollten dann anfangen zu powern, und mit das erste, was dann rausging, war das fürs Weser-Label. Gleich zwei Tage später kam der Anruf – und wir saßen auf unseren Demo-Tapes fest ...

ZAP: Seit wann gibt’s euch eigentlich?

Stucken: In der Besetzung so seit 90/91. Wir haben vorher schon in diversen Bands rumgespielt, aber das ist heute unwichtig.

ZAP: Als ich den Namen Meine Herren zuerst gehört habe, dachte ich gleich, »aha, L’Age d’Or-Band, Intellektuellen-Mucke und so«.

Burry: Wenn man uns dann so sieht, dann eben doch nicht.
Stucken: Wie sehen denn L’Age d’Or-Bands so aus? ZAP: Brillen wahrscheinlich.

Stucken: Und Abitur. 85 Prozent aller L’Age d’or-Bands haben Abitur. Garantiert.

ZAP: Tschuldigung, ich hab’ auch Abitur. Kann ja passieren.

Bevor das Gespräch an diesem Punkt endgültig in Studenten-Geläster ausartete, wechselten wir geschickt das Thema. Immerhin wird die Band in allen möglichen Infos und Besprechungen als Mischung aus Metal und Punk oder gar als »Kreuzüber mit artikulierten deutschen Texten« angepriesen. Solche Vorschußlorbeeren können ja auch schaden, denke ich.
Holger: Was wir machen, ist einfach Punk-Rock.
Markus: Kannst es auch Rock’n’Roll nennen.
Stucken: Dieser Metal-Schuh wird uns ständig angezogen. Anscheinend wollen die Leute das so. Viele interpretieren das so in uns hinein, ich weiß auch nicht warum. Wegen den Gitarren-Soli wahrscheinlich; dabei glaub’ ich nicht, daß die so überzogen sind, daß man das gleich Metal nennen muß.
Burry: Der Metal-Einfluß im Punk wird meistens doch nur so dargestellt, als sei es eine Art Qualitätsbeschreibung in Sachen Sound und so. Allgemein wird doch versucht, mit dem Begriff Metal irgendwas auf- oder abzuwerten.
Stucken: Ich glaube, die Leute schielen immer noch auf Crossover. Die wollen sehen, was ist Punk, und was gibt es sonst noch, na klar, das ist dann Metal. Interessant ist ja, daß diese Bezeichnungen alle aus Fanzines kommen, auch aus dem ZAP, von der Besprechung unseres Demo-Tapes her. Wir selbst haben unsere Musik nie so recht definiert.

ZAP: Wir schreiben mittlerweile 1994 – Punk-Rock ist seit 1977 rum, das erzählt mir zumindest jeder. Gleichzeitig machen BRAVO und andere Zeitschriften Punk zur »neuen Mode»; kommt man sich als Band nicht doof vor?

Markus: Es ist völlig egal, was in oder was out ist. Man muß doch selbst wissen, was einem gefällt und gut tut.
Stucken: Ich hab’ das schon immer so gemacht, obwohl wir zwei Leute in der Band haben, die andere Wurzeln haben, die aus dem Metal-Bereich kommen. Daher kommen wohl unsere Metal-Einflüsse. Bei mir ist der Background wohl eher bei den Sexpistols, bei anderen ist’s eher Iron Maiden, hahaha. (heftiges Protestgeschrei!!)

ZAP: Was mir bei Euren Texten auffällt: Die sind immer recht komplex, nicht ganz so eingängig. Es sind ja auch keine Parolen, eher persönliche Texte. Wie entstehen die?

Stucken: Ich würd’ schon sagen, daß sie aus persönlicher Erfahrung entstehen. Ich denke, daß alles, was wir beide – Holger und ich schreiben die Texte – aufschreiben, irgendwo persönlich ist. So würde ich beispielsweise nichts aufschreiben, von dem ich nicht weiß, was ich da mache und sage. Ich glaube, das liegt uns beiden sehr am Herzen, daß wir zu dem, was wir singen, was wir auf der Bühne textmäßig rüberbringen, auch stehen. Jederzeit.
Holger: Wir versuchen in unseren Texten was rüberzubringen, was man mal gemacht oder erlebt hat, oft Stimmungen und Stimmungsbilder eben. Stucken: Ja, wir beschreiben keine Situationen, wir beschreiben in erster Linie unsere persönliche Stimmung und so.

ZAP: Die Texte erzählen ja keine Geschichte, es sind viel eher Metaphern für irgendwas. Es läuft in euren Songs nicht so ab, »Der Mann läuft die Straße entlang und pinkelt gegen die Hauswand« oder so, sondern vertrackter.

Stucken: Der Großteil des Lebens läuft ja auch so ab. Du sitzt da und denkst nach, »was war gestern?« und so, »was war da los, wie hab’ ich mich da gefühlt und was war das für eine Situation?« So ist ja der Großteil des Lebens, es ist nicht immer eine Geschichte, die vor dir abläuft, die einen Anfang hat und ein Ende, das meiste ist ja eine Abfolge von Gefühlen. Und das versuchen wir bei unseren Liedern in Worte zu fassen.

ZAP: Wahrscheinlich wird oft, wenn ihr ein Konzert gebt, der übliche Vergleich kommen zu anderen Bands, die stimmungsorientierte Texte bringen, zu EA_80 oder zu den Boxhamsters beispielsweise. Ist es nicht nervtötend, häufig in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden?

Burry: Im ZAP fiel beispielsweise gleich der Vergleich zu Angeschissen ...
Stucken: EA_80 sind mir auch zu schwermütig; ich würde uns nicht in eine Ecke mit denen stellen. Ich finde unsere CD im großen und ganzen eigentlich auch nicht schwermütig, auch nicht negativ in diesem Sinne.

ZAP: Gut, auf eurer CD sind aber schon Texte, wie »Ich hab’ ein Buch, das heißt ‘das Ende’, mit Bildern, schrecklich schön anzusehn«, die schon etwas in die trübere Richtung gehen, nicht unbedingt party-tauglich.

Stucken: Wenn ich mir aber alle 16 Stücke anhöre und ziehe dann ein Resümee, dann kann ich nicht sagen, »das Ding ist negativ«. Mir wurde das schon mehrfach vorgehalten, und ich sag’ dann den Leuten immer, sie sollen sich nicht nur ein Lied anhören, sondern alle 16, und dann werden sie nicht mehr sagen, »das Ding ist negativ«.

ZAP: Warum deutsche Texte?

Burry: Also meiner Meinung nach bekommt man in seiner eigenen Sprache einen ganz anderen Ausdruck; man macht sich fließend verständlicher. Ich würde die Frage an deutsche Bands eher umgekehrt stellen, warum so viele englisch singen. Ich finde, in seiner Muttersprache kann man sich einfach am besten ausdrücken.
Stucken: Wobei das in unseren Anfängen auch anders war. Als wir angefangen haben, Musik zu machen, haben wir natürlich auch nur losgebrettert und englische Texte gemacht; aber nach einem Jahr kam der Bruch, die Frage: »Was wollen wir eigentlich? Wir wollen doch was rüberbringen, musikalisch, und dann sollen uns die Leute auch verstehen. Wir schwächen unser Anliegen durch englische Texte doch nur ab, dann laß uns lieber gleich Nägel mit Köpfen machen und den Schritt gehen.« Das war vor drei, dreieinhalb Jahren, als jeder noch geschrien hat, »was wollt ihr denn mit deutschen Texten?« Das war ja damals nicht angesagt, keiner wollte das. Innerhalb der Band gab’s da auch riesige Diskussionen, war nicht so einfach, wie sich das jetzt anhört. Ich hab’ damals den ersten deutschen Text angebracht, und wir haben das Ding angespielt. Davor hatten wir nur englisch, ich hab’ losgesungen in deutsch, das Stück war zu Ende, und dann ging’s los, »boah, Mann, das isses«.
Burry: Viele Leute denken einfach, englisch klingt professioneller, aber das ist einfach falsch.
Stucken: Wir haben festgestellt, daß unser Sound durch die deutschen Texte wesentlich härter rüberkommt. Wir haben schon vorher harten Sound gemacht, aber das englisch hat das immer abgeschwächt. Die deutsche Sprache kann, weil sie sehr hart ist, auf die Härte der Musik noch einen draufsetzen.

ZAP: Wobei das »Singen in deutscher Sprache« in letzter Zeit verstärkt durch Fascho-Bands besetzt ist. Die Bands auf »unserer Seite« singen häufig englisch, die Nazis alle deutsch.

Stucken: Denke ich nicht. Ich meine, gerade Bands, die eher im linken Bereich stehen, legen sehr viel Wert auf ihre Texte und singen deshalb lieber deutsch.
Burry: Typische »Nazis raus»-Texte haben wir nicht. Warum auch? Faschos hören unsere Scheibe eh nicht an.
Stucken: Ich halte das Publikum auch für intelligent genug, daß sie verstehen, was wir sagen wollen, ohne daß wir »Nazis raus« singen. Die Texte sind vielleicht ein bißchen versteckter, aber die Aussagen sind klar. Ich halte das Publikum nicht für so dumm.

ZAP: Nachdem ich jetzt alle klugen Fragen durchhabe: Was habt ihr in Wilhelmshaven für ‘ne Fußball-Mannschaft?

Burry: Wir haben die Wilhelmshaven ‘92, eine total wichtige Landesliga-Elf. Die sind unbestritten auf dem ersten Platz, ich glaub’, so mit zehn Punkten Abstand. Aber wir gehen da nie hin, weil wir zu der Zeit immer ein Buch lesen.

ZAP: Das ist aber sehr, sehr, sehr traurig. – Und was gibt’s in Wilhelmshaven sonst noch?

Markus: In Wilhelmshaven ist es ziemlich trostlos: Die Leute verbringen offensichtlich die meiste Zeit damit, Fernsehen zu gucken und sich dabei Pizza zu bestellen. Auf jeden Einwohner kommt bei uns mindestens ein Flying-Pizza-Service, das ist unglaublich! Abgesehen davon ist Wilhelmshaven sowieso das Altenheim Deutschlands.

ZAP: Könnt ihr am Meer wenigstens baden und surfen?

Markus: Können schon, aber wir kommen nie zum Surfen – wir müssen ja proben ...
Wer mal Böcke hat, Meine Herren von ihrem täglichen Surf- und Probe-Training abzuhalten, wende sich fürsorglich an
Trümmer Promotion
Mühlenweg 107
26348 Wilhelmshaven
Übrigens haben die »gewöhnlich gut unterrichteten Kreise« verlauten lassen, daß sich Meine Herren als Support von Slime auf deren »Schweineherbst»-Tour »überaus wacker und erfolgreich« geschlagen haben. Na also!



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